Erich Mühsam - Bonzenblues
Sei dankbar, Volk, den Edlen, die dich leiten,
der Obrigkeit, die stets dein Heil bedenkt.
Willst du dir selber dein Geschick bereiten,
bald wär die Karre in den Sumpf gelenkt.
Was weißt denn du, was für dein Wohlsein nötig ist?
Das Volk gehorche, weil es brägenklötig ist.
Der höhern Einsicht füge dich beizeiten,
und frag nicht lang, warum der Staat dich hängt
Vertraue, Volk, den Bonzen der Parteien,
geborgen ist dein Glück in ihrem Schoß.
Wenn du sie wählst, wolln alle dich befreien,
wenn sie gewählt sind, melken sie dich bloß.
Stell dir doch vor, wenn niemand dich regieren soll,
wovon dein Bonze dann noch existieren soll.
Der ganze Landtag müßt vor Hunger schreien.
Selbst die Abortfrau wäre arbeitslos.
Sie haben nichts im Kopf als Paragraphen.
Die Bonzen sind, o Volk, die Jungs im Skat,
verhängen Steuern über dich und Strafen,
und wenn du aufmuckst, dann ist's Hochverrat.
Sie merken nie, wenn alles auf der Kippe steht,
sie merken immer, wo noch eine Krippe steht,
doch du, o Volk, du kannst geruhsam schlafen.
Die Bonzen wachen, ja es wacht der Staat
Gottfried Benn - Nur zwei Dinge
Durch so viel Formen geschritten,
durch Ich und Wir und Du,
doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu?
Das ist eine Kinderfrage.
Dir wurde erst spät bewußt,
es gibt nur eines: ertrage
- ob Sinn, ob Sucht, ob Sage -
dein fernbestimmtes: Du mußt.
Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.
Schnee
Der Winter ist bereit
den Vögeln friert das Gefieder
Wenn es schneit, fällt Stille nieder
Es wird immer kälter
Politisch korrekt
Die Tauben immer blasser
die Liberalen immer wieder
Wenn es schneit, fällt Stille nieder
Am Ende siegt die Krähe
das Feuer ist nicht mehr weit
Das Spinett erklingt zum letzten Mal
Der Barmann weint
Wenn es schneit, fällt Stille nieder
Die Gefühle sind befreit
die Gedanken nicht mehr bieder
Wenn es schneit, fällt Stille nieder
"Wenn es schneit, fällt Stille nieder,
erklärte mir meine Mutter, als ich Kind war."
(Joel Haahtela, "Sehnsucht nach Elena",Piper Nordiska, 2009)
Mit der schönste Schluss eines Buches, den ich kenne!
Kurt Tucholsky - Letzte Fahrt
An meinem Todestag – ich werd ihn nicht erleben –
da soll es mittags rote Grütze geben,
mit einer fetten, weißen Sahneschicht...
Von wegen: Leibgericht.
Mein Kind, der Ludolf, bohrt sich kleine Dinger
aus seiner Nase – niemand haut ihm auf die Finger.
Er strahlt, als einziger, im Trauerhaus.
Und ich lieg da und denk: »Ach, polk dich aus!«
Dann tragen Männer mich vors Haus hinunter.
Nun faßt der Karlchen die Blondine unter,
die mir zuletzt noch dies und jenes lieh...
Sie findet: Trauer kleidet sie.
Der Zug ruckt an. Und alle Damen,
die jemals, wenn was fehlte, zu mir kamen:
vollzählig sind sie heut noch einmal da...
Und vorne rollt Papa.
Da fährt die erste, die ich damals ohne
die leiseste Erfahrung küßte; die Matrone
sitzt schlicht im Fond, mit kleinem Trauerhut.
Altmodisch war sie – aber sie war gut.
Und Lotte! Lottchen mit dem kleinen Jungen!
Briefträger jetzt! Wie ist mir der gelungen?
Ich sah ihn nie. Doch wo er immer schritt:
mein Postscheck ging durch sechzehn Jahre mit.
Auf rotem samtnen Bussen, im Spaliere,
da tragen feierlich zwei Reichswehroffiziere
die Orden durch die ganze Stadt,
die mir mein Kaiser einst verliehen hat.
Und hinterm Sarg mit seinen Silberputten,
da schreiten zwoundzwonzig Nutten
sie schluchzen innig und mit viel System.
Ich war zuletzt als Kunde sehr bequem..
Das Ganze halt! Jetzt wird es dionysisch!
Nun singt ein Chor: Ich lächle metaphysich.
Wie wird die schwarzgestrichne Kiste groß!
Ich schweige tief. Und bin mich endlich los.